Letzte Woche hatte ich hier (Klick) bereits von den Fortschritten meiner Cabanjacke geschrieben. Die gefühlten 96 Schnittteile konnte ich schließlich schnittmusterkonform zusammensetzen und kam mit dem Nähen auch ganz gut voran.
Das Futter, welches ich noch vor der Jacke zugeschnitten hatte und normalerweise zuerst nähe, schob ich erstmal beiseite, weil ich da noch keinen Plan vom Zusammensetzen hatte. Das war tatsächlich sehr hilfreich.
Während der Stoff so fröhlich unter meiner Maschine hindurchratterte und ich diverse Anproben mit wachsender Vorfreude machte, fiel mir plötzlich auf, dass das gute Stück überhaupt keine Taschen hatte. Und schon bröckelte die Freude ein wenig herunter. Nun fing mein Gehirn an zu rattern und ich überlegte mir eine Lösung für dieses wirklich tiefgreifende Taschenproblem. Aufgesetzte Taschen wären am einfachsten gewesen, aber sie passten einfach nicht zum Schnitt. Ich entschied mich dann Eingriffstaschen in jeweils eine der vorderen Teilungsnähte einzuarbeiten. Das ging solange gut, bis mir irgendwann einfiel, dass die Jacke ja doppelreihig geschlossen wird und folglich mindestens eine der Eingriffstaschen durch Knöpfe belästigt wird.
Ganz ehrlich – das war der Moment wo ich dachte: „Erstmal abwarten, wie sich das ganze entwickelt“.
Das war letzten Freitag. Abends wollten wir ins Theater und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass ich auf Biegen und Brechen diese Jacke anziehen will. Also: Gegen mittag die Taschen eingenäht und kurz darauf das Futter. Das sollte alles bis knapp 16:30 Uhr zu schaffen sein, weil ich dann los musste.
Alles kein Problem, Futter schnell einnähen, am besten bei den Schlitzen die Wendeöffnung lassen, weil ich die wahrscheinlich eh von Hand anstaffieren muss.
Und da erschien das nächste Problem. Hinten am Rücken waren 2 Schlitze. Die hatte ich auch im Futter berücksichtigt, aber die Falten und Anstösse entweder falsch eingenäht oder aber zu blöd gewesen, das Prinzip zu verstehen. Da diese Schlitze aber sowieso blöd abstanden wurden sie kurzerhand zusammengenäht – Fertig! Problem gelöst. Also fast…
Gegen 16:00 wurden die Knopflöcher gemacht, dann folgten die Knöpfe und die ambitionierte Schneiderin stürzte vor den Spiegel, richtete die Zauselhaare, hatte keine Zeit mehr zu weiteren Umziehaktionen, entfernte sodann Fussel von den Klamotten, bestellte Bahnticket per Handy, warf sich in die neue Jacke, befand sie für … naja … okay (die Schlitze mussten noch perfektioniert werden), griff nach der Handtasche und da passierte es: Ich hörte und spürte dieses fiese, gemeine, hinterhältige, ins eigene Futterfäustchen lachende Geräusch des aufreißenden Futterstoffs.
Innerhalb von 2 Sekunden dann folgender Gedankenablauf: „Scheiße, umziehen! – nee, verpasse dann den Bus- ich will die Jacke heute abend anziehen! Sieht ja keiner mit dem Futter… aber, ich weiß es. Ich weiß es!! Doch lieber umziehen… nein, ich lass sie an, auch wenn ich gerade heulen könnte, weil das Futter gerissen ist und ich noch nicht mal Zeit habe, mir den Riß zu betrachten. Hoffentlich hängt der nicht in Fetzen runter…“ Tür abgeschlossen und raus, Bus gekriegt und mir während meiner 1 stündigen Fahrt vorgestellt, wie die Risse wohl aussehen mögen. Die Risse, mögt ihr euch jetzt fragen… jahaa, der erste Riß meinte, er wäre noch nicht genug gewesen und gab das Kommando „Naht platzen!“ an den Ärmel weiter.
Mir war sonnenklar, dass das Futter sich gegen mich verschworen hatte. Jede gerissene und ausgefranzte Naht, die ich später betrachtete schrie förmlich „Du hast verloren!!!“ und streckte mir mit jedem Fransen die Zunge heraus. Das Futter und ich würden nie Freunde werden.
Gestern habe ich nun neuen Futterstoff bestellt. Diesmal werde mich mit ihm anfreunden, beim Zuschnitt zärtlich drüber streichen, es loben und behutsam durch das Maschinchen führen. Wenn ich dann noch mit den Nadeln die richtigen Akupunkturpunkte des Futters treffe, Jackenstoff und Futterstoff einander förmlich vorstelle und ihnen Gelegenheit gebe, sich kennenzulernen, wird die Jacke am Ende nicht nur von außen sondern auch von innen ein freundliches, mir in allen Bewegungslagen wohlgesonnenes Kleidungsstück sein.
Von außen ist sie wie erwähnt schon gut gelungen und deshalb präsentiere ich meine Cabanjacke heute voller Stolz und in Richtung Futter mit unterdrückten Grummeln bei MMM, MMI und After Work Sewing